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Russlands wirtschaftliche Transformation wird durch WTO-Mitgliedschaft beschleunigt

Interview - December 13, 2012
Der Beitritt zur Welthandelsorganisation öffnet dem ehemaligen kommunistischen Staat neue Türen, aber ist auch eine Herausforderung
H.E. WLADIMIR M. GRININ, AMBASSADOR OF RUSSIA TO GERMANY
H.E. WLADIMIR M. GRININ | AMBASSADOR OF RUSSIA TO GERMANY

Nach 18jähriger Verhandlungsphase ist Russland endlich letzten August der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten – ein riesiger Schritt zur Integration in die Weltwirtschaft. Es gilt allerdings noch viele Hürden zu überwinden, bevor der ehemalige kommunistische Staat die Früchte seiner Mitgliedschaft in diesem wichtigsten Club der Handelsnationen ernten kann. Dazu gehören eine Reform der Gesetzgebung zum geistigen Eigentum, eine Vereinfachung der Bürokratie und der Abbau der gesetzlichen Fußangeln für die Gründung von privatwirtschaftlichen Unternehmen.

Ein gesundes Geschäftsklima aufzubauen ist besonders wichtig für Russlands Beziehungen zu Deutschland, dem zweitwichtigsten Handelspartner nach China und eine der größten Quellen von ausländischen Investitionen. Deutsche Investitionen in Russland belaufen sich inzwischen auf $30 Milliarden und stiegen in der ersten Jahreshälfte 2012 um 15 Prozent.

In einem umfangreichen Gespräch mit Globus Vision spricht der russische Botschafter in Deutschland, Wladimir Grinin, über den Wandel seines Landes in den vergangenen 20 Jahren sowie die enorme Bedeutung des Beitritts zur Welthandelsorganiation für die russische Wirtschaft und welche Hindernisse noch überwunden werden müssen, um ein gesundes Wirtschaftklima für einheimische und ausländische Investoren zu schaffen.

Interview mit Seiner Exzellenz, Herrn Vladimir M. Grinin, Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland. Zuerst würde ich gern ein bisschen über die russische Wirtschaft sprechen. Ist es wahr, dass Russland einen sehr starken Aufschwung erlebt hat und außerdem, dass natürliche Ressourcen eine große Rolle in der Förderung dieses Aufschwungs gespielt haben? Präsident Putin hat darüber gesprochen, dass ein Transformierungsplan für Russland die Modernisierung und Aufrüstung der russischen Wirtschaft einbeziehe. All das hat Russlands Eintritt in die WTO erleichtert, was nicht nur für Russland etwas ganz Großes bedeutet, sondern auch für den Rest der Welt. Ich würde Sie gern fragen, wie die WTO-Mitgliedschaft für Russlands strömende Wirtschaft in den kommenden Jahren von Vorteil sein wird.

Das laufende Jahr ist wirklich für Russland von dem Beitritt zur Welthandelsorganisation gekennzeichnet. Und der Weg unseres Landes dorthin war nicht unbedingt rosig, sondern auch dornig. Er war auch ziemlich lang. Trotzdem hat die russische Regierung immer das Ziel vor Augen gehabt, einmal Mitglied dieser Organisation zu werden. Und wir haben es geschafft, in fast 20-jährigen Verhandlungen.

Was erwarten wir davon? Wir erwarten davon, dass bessere Möglichkeiten geschaffen werden für eine schrittweise Umgestaltung der russischen Wirtschaft. Und es gibt uns zusätzliche Impulse zum Wachstum. Wie ich gesagt habe, der Weg dorthin war lang und dornig und auch begleitet von – ich würde sagen –  unzähligen Diskussionen in Russland, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Gesellschaft, aber auch in der Regierung selbst über Vor- bzw. Nachteile dieses Beitritts. Und wir gehen davon aus, dass es doch mehr Vorteile als Nachteile dieser Mitgliedschaft in der WTO geben wird.

Wir glauben, dass wir einen brauchbaren Kompromiss gefunden haben und dieser Kompromiss wird uns erlauben, einen barrierefreien Handel zu installieren und gleichzeitig die Interessen der russischen Produzenten zu wahren. Um das zu gewährleisten, haben wir bestimmte Übergangsregelungen mit unseren Partnern in der WTO ausgehandelt.

Wir bekommen mit diesem Beitritt die beiden sogenannten Grundrechte der Mitglieder, und zwar zum einen das Recht auf eine unbedingte Gleichbehandlung aller Handelspartner und zum zweiten auf Gleichbehandlung von in- und ausländischen Waren. Darunter auch der Waren, die wir selbst produzieren. Nur ein Beispiel, um das besser zu verstehen: die Metallindustrie. Wir haben jährlich bis zu 2 Milliarden Dollar Verluste dadurch gehabt, dass unsere Metallproduktion nicht in dem Umfang, in dem wir wollten, auf den ausländischen Märkten zugelassen wurde. Jetzt, da diese Handelsbarriere weg ist, können wir mit einem großen Wachstum in der Metallindustrie rechnen. Gleichzeitig bedeutet der WTO-Beitritt für unsere Branchen eine stärkere Konkurrenz. Natürlich werden nicht alle das aushalten, aber die Konkurrenz als solche ist positiv. Sie führt dazu, dass sich die entsprechenden Unternehmer aktiver modernisieren und aktiver anpassen müssen. Das ist vorteilhaft für die Kunden.

Wird das auf kurze oder lange Sicht sein?

Natürlich dürfen wir nicht mit den Leuten riskieren, die dahinter stehen. Sehr viele Unternehmer, die über Nacht konkurrenzunfähig sein können, müssen irgendwie in Schutz genommen werden, um Massenentlassungen zu vermeiden. Dahinter stehen Millionen von Menschen. Nehmen wir die Autoindustrie oder Landwirtschaft. Deswegen haben wir mit der WTO sogenannte Übergangsfristen ausgehandelt, also die Zeitperioden, die uns erlauben, sich besser anzupassen. So dass es auch nicht zum Schaden der Bevölkerung sein wird.

Wir haben über den Reformierungsplan gesprochen und einer der Schlüsselfaktoren dafür ist die Wirtschaftsreform, die Russland als ein sehr attraktives Investmentziel antreibt. Geben Sie mir Ihre Sicht darüber, wie diese Reformen vorankommen.

Ehrlich gesagt werden wir in dieser Hinsicht mehr kritisiert als gelobt. Trotzdem will ich betonen, dass dabei sehr oft übersehen wird, was wirklich erreicht worden ist. Und in den letzten 20 Jahren war der Reformschub in Russland wirklich enorm. Was die Ursachen und Gründe für Unzufriedenheit der potentiellen Investoren angeht, so haben wir entsprechende Probleme zumindest erkannt. Und das ist schon viel. Wir haben auch begonnen, diese Probleme zu beseitigen. Und das geht. Wenn man bloß Ziffern nennt, ist 2011 das Auslandsinvestitionsvolumen um 22% gestiegen. Eine Summe von praktisch 53 Milliarden Dollar wurde erreicht. Das ist nicht wenig. Und die Umfragen, die vom sogenannten Konsultativrat (advisory council) für Auslandsinvestitionen der Regierung der Russischen Föderation in Auftrag gegeben worden sind, zeigen, dass grundsätzlich etwa 70% der befragten Auslandsunternehmer, potentieller Investoren bzw. derjenigen, die schon solche Investitionen vorgenommen haben, die Rahmenbedingungen für Investitionen in Russland als im Großen und Ganzen positiv nennen.

Nicht nur spezifische Sektoren, sondern auch der Finanzsektor erlebt große Reformen, um den Übergang von Kapital in Tauschhandel zu erleichtern. Ich denke, das ist besonders stark im Finanzsektor. Es geht nicht nur um Auslands-Direkt-Investment, sondern auch um Kapitalinvestment.

Wie gesagt, wir sind uns der Probleme bewusst. Ich will aber nicht verschweigen, dass sie bei weitem noch nicht alle beseitigt und überwunden sind. Nach wie vor leiden wir an bürokratischen Hemmnissen, nach wie vor haben wir Probleme mit Korruption und mangelnder Infrastruktur sowie unzufriedener Rechtssprechung und Rechtssicherheit. Aber es geht immer besser. Zum Beispiel im internationalen Rating „Doing Business“ hat sich Russland um 8 Punkte auf Platz 112 verbessert. Natürlich ist das nicht, worauf man stolz sein kann. Trotzdem ist das eine Bewegung in die richtige Richtung. Unser ehrgeiziges Ziel ist, den Platz 20 und das Niveau der jährlichen Finanzinvestition von 70 Milliarden Dollar Auslandsinvestitionen zu erreichen. Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel, aber wenn wir jedes Jahr um 8 Punkte nach vorne gehen, ist das doch schon in Sicht.

Sie haben über Herausforderungen in Bezug auf Reformen gesprochen, aber es gibt auch andere Herausforderungen innerhalb der nationalen Sicht und das ist die Diversifikation der Wirtschaft, um von einer Abhängigkeit von Öl und Gas wegzukommen. Wie arbeiten die russische Regierung und Russlands Bevölkerung daran, dieser Abhängigkeit von Öl und Gas zu begegnen?

Wenn man alles im globalen Maßstab einzuschätzen versucht, so sind die wichtigsten Herausforderungen für uns, erstens, die Schaffung einer qualitativ neuen investitions- und unternehmensfreundlichen Umgebung, also einer neuen Unternehmenskultur. Zweitens, – die Lösung des Problems der Kommerzialisierung der Ergebnisse der intellektuellen Tätigkeit, d.h. kommerzielle Umsetzung in die Produktion der wissenschaftlich technischen Erfindungen bzw. Errungenschaften. Das war leider auch früher für uns ein Problem, zur Zeit der Sowjetunion, und bleibt bis jetzt noch nicht gelöst. Aber wir müssen das so schnell wie möglich lösen. Was wir brauchen, ist ein System des Schutzes des intellektuellen Eigentums, das dieses Eigentum attraktiv für die Investoren macht.

Es gibt aber auch  konkretere Aufgaben. Diese sehen die Ausarbeitung der Aktionspläne, der sogenannten Road Maps, in einzelnen Wirtschaftssektoren mit besonderem Akzent auf Bio- und Nanotechnologien, moderne Verbundwerkstoffe, Medizin der Zukunft, Energieeinsparung bzw. Energieeffizienz, Informations-, Weltraum-, Nukleartechnologien, aber auch effektivere Technologien für die Gewinnung und Verarbeitung der Rohstoffe vor. Denn Rohstoffe werden noch eine gewisse Zeit das Rückgrat unserer Wirtschaft bleiben. Dessen Anteil an Ausfuhren beträgt heute bis zu 70%, der Beitrag zu unserem Haushalt sowie zu den Steuereinnahmen ist nicht weniger beträchtlich. So können wir das natürlich reduzieren, aber nicht komplett aufgeben. Anders ausgedrückt, die Diversifizierung der russischen Wirtschaft kann nicht ausschließlich außerhalb des Rohstoffsektors, sondern aufgrund der Anpassungen dort und in den damit verbundenen Branchen passieren.

Sonst gilt die besondere Aufmerksamkeit der Produktion der Verbundwerkstoffe. In manchen Ländern ist diese Industrie zu einem mächtigen Katalysator der technologischen Erneuerung geworden. Zu der Zeit der Sowjetunion waren auch wir auf dem 3. Platz nach den USA und Japan, was die Produktion dieser Werkstoffe angeht. Jetzt ist unser Anteil winzig, und wir wollen natürlich nachholen, um darunter somit auch unserer Wirtschaft zu helfen, sich energischer und aktiver zu modernisieren.

Was ich gelesen habe, ist, dass wir unsere Aufmerksamkeit immer auf Moskau konzentrieren, aber es ist wahr, dass die Regierung diese Effizienz erleichtert, indem sie Wirtschaftszonen, Industriestädte und Cluster bildet. Ich weiß, dass eine Wissenschaftsstadt nur eine halbe Stunde Fahrt von Moskau erbaut wird. Es wird auch eine leitende Stadt gebaut. Also ist es wahr, dass diese Effizienz kommt, indem Kräfte vereint werden. Und ich vergesse nicht, dass die besten Wissenschaftler der Welt immer Russen waren.

Ich werde nicht das alles wiederholen. Das können Sie überall lesen und ich bin ziemlich sicher, dass Herr Kislyak (Botschafter der Russischen Föderation in den USA – G.V.) Ihnen alles erzählt hat in Bezug auf diese Zentren, die wir aufbauen wollen, z.B. Nanozentren. Wir wollen auch die früheren Wissenschaftszentren wie in Novosibirsk aktivieren usw.

Wir haben über Reformen und Vision gesprochen, und auch ein bisschen über die sogenannte Road Map. Können Sie erklären, was die Modernisierung der Wirtschaft bedeutet und wie der Prozess abläuft; wird es Verbesserungen für das russische Geschäftsklima geben?

Das ist eigentlich der Schlüsselpunkt. Was wir dringend brauchen, wie Sie richtig gesagt haben, sind die Verbesserungen des Geschäftsklimas. Und dazu wollen wir in der nächsten Zeit, also bis Mitte 2013, eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, und zwar etwa 20 Road Maps zusammen zu stellen, die jeweils einen Bereich der investitionsrelevanten Staatsregelung umfassen. Das Ziel dabei ist es, die Anzahl, Dauer und Kosten der regulierenden Maßnahmen zu reduzieren. Vier von diesen Road Maps sind schon fertig und beziehen sich auf solche Bereiche wie Baugenehmigungen, Zugang zu der energiewirtschaftlichen Infrastruktur, Zollabfertigung sowie Förderung des Marktzugangs im Ausland. Die nächsten Schritte, die wir vornehmen werden, werden sich auf die Qualitätssteigerung der regulativen Umgebung für Unternehmen, die Optimierung deren Registrierungsverfahren, den erweiterten Zugang der kleineren und mittleren Unternehmen zu Beschaffungsprogrammen natürlicher Monopole und Staatsunternehmen sowie die Optimierung der Registrierung des Eigentums beziehen.

Darüber hinaus möchten wir einheitliche Standards für die Tätigkeit der Exekutive zur Sicherung eines freundlichen Investitionsklimas in unseren Regionen einführen. In 13 Regionen sind die schon umgesetzt und demnächst wird dieses Vorhaben auf alle Subjekte der Russischen Föderation erweitert.

Wir haben auch ein Institut wie Investitionsombudsleute geschaffen. Die gibt es schon in Moskau, in St. Petersburg und weiteren Regionen. Wir haben auch positive Äußerungen von unseren deutschen Kollegen über die Tätigkeit dieser Ombudsleute gehört.

Ich denke, wir haben den Deutschen Russlands neue Straßenkarte vorgeführt, aber vergessen Sie nicht, dass wir den Deutschen Russland präsentieren. Ich bin froh hier zu sein, weil 2012 und 2013 ein Jahr sind, in dem viele verschiedene Aktivitäten durchgeführt werden, in Hinblick auf Kultur, Business und Diplomatie.  Lassen Sie uns nicht vergessen, dass Deutschland Russlands zweiter Handelspartner nach China ist, wenn ich mich nicht irre. Auch wenn das sehr gute Ziffern sind, so bietet der WTO-Eintritt doch eine sehr gute Gelegenheit, um hinaufzusteigen und diese Ziffern noch zu verbessern. Lassen Sie uns nicht vergessen, dass Deutschland der Schlüsselpartner in Europa und hinsichtlich Russlands Integration in Europa ist. Also wüsste ich gern Ihre Sicht auf die Evolution der deutsch-russischen Beziehungen.

Deutsch-russische Beziehungen haben in den letzten 10-20 Jahren einen großen Wandel erfahren. Und wenn man den Abstand von 30-40 Jahren nimmt, so sind die Veränderungen gewaltig, sowohl inhaltlich als auch qualitativ. Missgunst und Konfrontation sind zu Attributen der Vergangenheit geworden. Wir, Russen und Deutsche, nennen uns heute Partner, sogar strategische Partner. Das heißt, wir richten uns auf eine kooperative Gestaltung der gemeinsamen Zukunft.

Bei all der Bedeutung der gegenseitigen materiellen Interessen waren für diesen Wandel, für diesen Sinneswandel aus meiner Sicht vor allem politisch-psychologische Faktoren entscheidend. Die deutsche Wiedervereinigung, bei derem Zustandekommen die damalige Sowjetunion – und ich verstoße kaum gegen die Wahrheit, wenn ich das sage – die Schlüsselrolle gespielt hat, und die das Ende des Kalten Krieges eingeleitet hat. Aber auch die Versöhnungspolitik der beiden Staaten. Eine sehr große Bedeutung in diesem Kontext gehörte der Kriegsgräberfürsorge. Auf Grund des entsprechenden Abkommens, dessen 20-jähriges Bestehen wir vor kurzem gefeiert haben, ist in dieser Hinsicht sehr viel auf beiden Seiten gemacht worden, was die Zuneigung und das Vertrauen der Deutschen und Russen zueinander enorm steigerte.

Was die Evolution und die Tatsache, dass es heute gute Beziehungen gibt, betrifft: unsere Leser interessieren sich für Finanzen. Es ist wahr, dass es letzten Juni das Weltwirtschaftsforum gab, als Präsident Putin sprach und alle auf Nachrichten über den Privatisierungsplan warteten. Ich denke, es wäre gut, über die Möglichkeiten zu sprechen, die für deutsche Investoren bestehen, nicht nur wegen des Privatisierungsprozesses, sondern auch wegen der Aufrüstung verschiedener Sektoren und der Zusammenarbeit von Technologie und Wissen. Maschinenbau und auch das, was wir über das finanzielle und kapitale Wachstum gesagt haben, und auch darüber, Partner zu werden. Wo in dem Bereich muss die deutsche Investorengemeinschaft eine Rolle in Russland spielen?

Zuerst vielleicht ganz kurz einige Ziffern, die unseren Handel illustrieren. Sie haben erwähnt, dass China die Deutschen von dem ersten Platz verdrängt hat. Das ist so auch eigentlich der Fall, aber wir wollen darauf hoffen, dass dies den Deutschen mehr Courage gibt.

Trotzdem muss ich sagen, dass Deutschland ein sehr wichtiger Handelspartner für uns ist. Praktisch jedes Jahr haben wir Rekorde im Handel. Der letzte war 2011, als wir mit 75 Milliarden Euro dieses Niveau überschritten haben. Das ist ziemlich viel. Unser Handelsvolumen ist in diesem Jahr um 29% gestiegen. Dieses Jahr wird auch ein neuer Rekord erwartet, da bereits in der ersten Jahreshälfte der Zuwachs des Handels um 14% lag. Das ist auch nicht wenig. Was die Investitionen angeht, so haben die russischen in Deutschland um 4 Milliarden und die deutschen in Russland um 8 Milliarden zugenommen. Und das Gesamtvolumen der deutschen Investitionen in Russland beträgt zur Zeit etwa 30 Milliarden US-Dollar.

Russland und Deutschland sind bekanntermaßen seit ein paar Jahren durch die gemeinsame Agenda der Modernisierungspartnerschaft verbunden, in deren Rahmen bereits eine ganze Reihe von sog. Leuchtturmprojekten entstanden ist, die in verschiedenen Branchen realisiert werden. Einer der wichtigsten Bereiche der russisch-deutschen Zusammenarbeit bleibt nach wie vor die Energiewirtschaft. Dabei beschränken wir uns nicht auf den traditionellen Handel mit Öl und Gas (es muss darauf hingewiesen werden, dass Russland schon seit mehr als 40 Jahren nach Deutschland Erdgas und Erdöl zuverlässig liefert), sondern wir entwickeln  auch andere Formen der Kooperation, darunter Infrastrukturprojekte, die die Energiesicherheit Deutschlands und der EU stärken. Schon seit einem Jahr ist die Gasleitung „Nord Stream“ im Betrieb. Am 8. Oktober 2012 wurde der zweite Leitungsstrang dieser Pipeline in Betrieb genommen. Sie verbindet direkt das einheitliche Gasversorgungssystem sowie die größten Erdgasfelder Russlands mit den europäischen Endkunden.

Wichtigste Beispiele für Industriekooperationen sind die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens zwischen der russischen Maschinenbaugesellschaft Transmashholding und ihrem deutschen Partner Tognum, Herstellung von Transformatoren sowie Schaltanlagen des Konzerns Siemens AG im Gebiet Woronezh. Erwähnenswert ist auch der Bau einer Reifenproduktion des deutschen Unternehmens Continental AG im Gebiet Kaluga. Eine Fortentwicklung der bilateralen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen in den nächsten Jahren können die deutsch-russischen Kreuzjahre 2012-2013, das Deutschlandjahr in Russland und das Russlandjahr in Deutschland, in deren Rahmen eine Reihe von wichtigen Veranstaltungen geplant sind, fördern.

Werden diese Projekte bereits umgesetzt?

Diejenigen, die ich genannt habe, laufen schon.

Sind manche davon unerschlossene Investitionen oder Gemeinschaftsunternehmen? Fangen Sie bei Null an oder basieren sie außerhalb von russischen und deutschen Partnerschaften?
 
Das ist unterschiedlich. Wir haben z.B. über 6.000 Betriebe in Russland mit der deutschen Beteiligung, welche unterschiedlich organisiert sind. Das sind teilweise überwiegend russische mit den deutschen Geldern, teilweise 50-50 joint ventures, teilweise sind das 100% deutsche. Wie gesagt, sind das insgesamt ungefähr 6.500.

Und ich kann Ihnen weitere Projekte nennen, die in Aussicht gestellt worden sind, z.B. die Produktion von Elektrolokomotiven im Swerdlowsk-Gebiet. Das ist ein Joint Venture der russischen Unternehmensgruppe Sinara und der russischen Eisenbahn. Auf der deutschen Seite steht die Siemens AG.

Gibt es neue Infrastrukturprojekte, die für eurasische Integrationsprojekte aufgebaut werden? Ich glaube, es gibt viele Pläne für Anschlussmöglichkeiten für eurasische Integrationsprojekte, ist das richtig?

Konkrete Pläne dieser Einbeziehung der eurasischen wirtschaftlichen Union in die Zusammenarbeit mit Westeuropa gibt es noch nicht, soweit ich weiß. Aber die werden demnächst wahrscheinlich doch kommen. Diese Union wird jetzt in der Phase der Entstehung kommen. Noch nicht alles ist dort schon unter Dach und Fach gebracht. Es ist noch etwas zusätzlich zu machen, um dann wirklich endgültig diese eurasische Wirtschaftsunion als Annäherung in die Zivilisation zu bekommen.

Aber Sie haben Recht: Je mehr wir Wirtschaftsverbindungen zwischen den existierenden bzw. entstehenden Gruppierungen schaffen werden, desto besser wird es für unsere gemeinsame europäische Wirtschaft sein. Also das Ziel ist ein gemeinsamer Wirtschaftsraum von Lissabon, was nicht weit von Ihrer Hauptstadt ist, bis Vladivostok. Das ist das Ziel. Das ist eine Region, an deren Umsetzung wir sehr gern mitarbeiten möchten.

Wir haben über die Evolution und Möglichkeiten gesprochen. Es ist wahr, dass Deutschland für – nun, wenn man Deutschland mit einem Wort assoziieren müsste – Qualität steht. Qualität kommt definitiv von Innovation und Sie haben über die Reformen und Aufrüstungen gesprochen, die Russland in dieser Hinsicht durchführen möchte. Wie sehen Sie Russland und Deutschland als strategische Partner in hervorhebender Innovation und auch mit Russlands wachsender Konkurrenzfähigkeit in der Welt?

An dieser Stelle möchte ich auch betonen, dass wir uns nicht ausschließlich auf die Aktivitäten der Großkonzerne konzentrieren sollen. Die jüngste Krise hat uns, wie auch einigen EU-Partnern Deutschlands, vor Augen geführt, dass es für die Standfestigkeit der Volkswirtschaft nicht reicht, ein Paar große „Vorzeigeunternehmen“ im Land zu haben. Die Nachhaltigkeit kann aus unserer Sicht in erster Linie von Mittelstand gewährleistet werden, dieser Mehrzahl von hochinnovativen und marktführenden Unternehmen, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden.

Auf diesem Wege haben wir Einiges erreicht. Nach inoffizieller Statistik sind derzeit ca. 6,5 Tausend deutsche Firmen oder Unternehmen mit deutschem Kapital in unserem Land aktiv, 2/3 davon sind die Mittelständler. Und diese Zahl wächst stetig. Heute können wir mit Genugtuung feststellen, dass sich kein deutsches Unternehmen während der Krise 2008/2009 aus Russland zurückgezogen hat. Mehr noch: einige sind antizyklisch vorgegangen und haben gerade in den schwierigen Zeiten den Markteintritt gewagt.

Der Aufbau der Mittelschicht ist für unser Land nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch vor allem eine der größten sozialpolitischen Aufgaben. Den regionalen russischen Behörden kommt eine zentrale Rolle zu, in solchen Sachen wie Suche eines Standortes und Ansiedlung, Förderinstrumente im Steuer- und auch im Finanzierungsbereich usw. aktiv zu werden. Es gibt inzwischen Gebietsverwaltungen, die gute Erfahrungen in Sachen Akquirierung von ausländischen Investoren gesammelt haben und sehr aufmerksam und schnell auf deren Anliegen reagieren. Dieser Trend wird immer deutlicher, weil allen klar ist, dass die wirtschaftliche Zukunft Russlands nicht nur in Moskau und Sankt-Petersburg, sondern immer mehr in den Regionen bestimmt wird.
Der russische Markt bietet sehr viel Potential. Deshalb sind wir als Botschaft gerne bereit, konkrete gemeinsame Projekte zu unterstützen und hierfür eigene Kanäle sowie unser Netzwerk den Unternehmern zur Verfügung zu stellen, wobei die Größe des jeweiligen Unternehmens keine Rolle spielt. Entscheidend sind für uns die Ideen und der Wille zur gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit.
Ich freue mich auf weitere Kontakte mit all denen, die sich für unser Land interessieren.

Die großen Firmen sind nicht flexibel genug, um Neuerungen vorzunehmen; es sind die kleinen.

Der Schwerpunkt liegt dabei natürlich bei den Regionen. Denn ohne aktive Beteiligung der Gouverneure der Regionen wird es nicht so weiter gehen. Von Moskau aus kann man das nicht alles in Bewegung bringen. Man kann Rahmenbedingungen schaffen, aber die Umsetzung ist natürlich die Aufgabe der Regionen. Und die haben hier schon sehr viel gemacht. In manchen sehen wir sehr positive Entwicklungen in Sachen Anwerbung von ausländischen Investoren, und die Reaktion auf ihre Anliegen, die sie vorbringen.

Darüber hinaus sind wir uns der Tatsache bewusst, dass nicht nur in Moskau und St. Petersburg das Leben und die Wirtschaft gemacht werden. Das Territorium Russlands ist sehr groß und natürlich wären wir gut beraten, die weiteren Territorien Russlands in diesen Sog der wirtschaftlichen, innovativen Entwicklung hinein zu ziehen.

Ich habe Russland lange Zeit studiert und ich weiß nicht einmal, wo die Möglichkeiten für jede der Regionen liegen. Gibt es eine zentrale Agentur, die einem Investor zu verstehen hilft, wo die Möglichkeiten wären? Ich denke, es wäre gut zu wissen, wie wir Russland kontaktieren könnten, vielleicht über die Botschaft?

Wenn es nur ein Zentrum wäre, wäre es meiner Meinung nach sehr schlecht. Es sollte mehrere solche Stellen geben, wohin sich jeder, der sich in der russischen Realität auskennen will, wenden und eine entsprechende Auskunft bekommen kann.
Wir als die Botschaft hier widmen der Sache einen ziemlich großen Teil unserer Arbeitszeit. Wir reisen überall dorthin, wo wir die Leute dazu werben können, in Sachen Gewinnung des russischen Marktes aktiver zu sein. Wir möchten die Leute einladen, sich Russland und die Möglichkeiten des russischen Marktes mit anderen bzw. offeneren Augen anzuschauen. Und wir halten sehr viele Vorträge überall in Deutschland oder laden zu verschiedenen Konferenzen ein. Zum Beispiel werden gegen Ende dieses Monats wenigstens zwei Konferenzen hier bei uns stattfinden. Die eine machen wir gemeinsam mit einem Unternehmen aus Baden-Württemberg und diese Konferenz ist dem Mittelstand gewidmet. Es sind mittelständische Unternehmer aus Baden-Württemberg, die mit uns die Konferenz organisieren. Und wir laden auch Vertreter aus Russland ein, die hierher kommen, um Erfahrungen auszutauschen.
Die zweite Konferenz wird auch in Kürze hier in der Botschaft stattfinden und wird den unternehmerischen Aktivitäten der russischen Aussiedler gewidmet, also derjenigen, die wir als Landsleute bzw. Mitbürger bezeichnen. Wir betrachten sie eigentlich als eine Art potentielle Brücke, die uns mit Deutschland verbindet.

Die Leser wüssten immer gern, wer der Botschafter ist und wie seine persönliche Sicht ist. Sie repräsentieren Ihre Regierung und kommunizieren, was Ihre Regierung in ihrer Außenpolitik diktiert. Sie waren in vielen verschiedenen Orten Botschafter und Sie haben viele Jahre für das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten gearbeitet. Sie haben auch viele wichtige Angelegenheiten strategisch für die Zukunft Ihres Landes verhandelt, bevor ich überhaupt geboren war. Was ist Ihre persönliche Sicht und wie kann Ihr Background Ihnen in Deutschland in dieser Position helfen?

Erfahrungen und Kenntnisse, die ich auf früheren Posten erworben habe, sind natürlich eine große Stütze für mich heute in Berlin. Sie helfen mir bei den Analysen, z.B. ist es für mich leichter einzuschätzen, ob das oder das Vorhaben in das trilaterale Format der Zusammenarbeit Deutschland-Polen-Russland passt oder ob es besser ist, damit ein bisschen abzuwarten oder daran etwas zu korrigieren.

Es hilft aber auch, treffsicherer Akzente zu setzen, wo man mit den deutschen Partnern aktuelle Thematik bespricht. Hätte ich z.B. in der Rüstungskontrolle nicht gearbeitet, könnte ich ihnen kaum all die Bedeutung der Raketenabwehr für strategische Sicherheit, für die Partnerschaft Russland-NATO klar machen. Und die Bedeutung ist enorm. Wenn jetzt in den Vereinigten Staaten der nationale Egoismus wieder die Oberhand gewinnt und Russland und NATO nicht den Weg finden, bei dem Bau des heute in der Allianz erstehenden Raketenabwehrsystems zu kooperieren, so wird die einmalige Chance verpasst, Russland und NATO zu wirklichen Partnern in Sachen globale Sicherheit zu machen und den Kalten Krieg endgültig auf die Müllhalde der Geschichte zu werfen.

Sie haben einen Satz erwähnt, ich bin nicht sicher, ob er der Titel sein würde, aber “Eine geläufige Geschäftsordnung für die Modernisierung der Beziehung.“ Ich denke, das umhüllt, was wir heute besprochen haben. Wenn ich Angela Merkel wäre und Sie hätten mir etwas zu sagen, würden Sie mir danken oder mich um etwas anderes bitten oder wäre es einfach nur eine nette Konversation? Was ist es, das Sie gern den höchsten Regierungsbeamten sagen oder was sagen Sie ihnen jeden Tag?

Das ist zwar nicht das, was ich den höchsten Regierungsbeamten sagen will, aber es ist etwas, das wir eigentlich nicht müde werden zu wiederholen. Das Problem ist ziemlich klar. Wir haben keine andere Alternative als eine gemeinsame Zukunft zu gestalten. Und wie Sie wissen, gehören Russland und Deutschland zu den Ländern, die die Schicksale Europas seit Jahrhunderten bestimmt haben. So ist es passiert. Es gab auch sehr dunkle Seiten in unserer gemeinsamen Geschichte. Wir möchten, dass wir uns wirklich zu den Ländern entwickeln werden, die die Harmonisierung des Lebens auf diesem Kontinent vorantreiben werden. Das heißt, dass wir zu einer treibenden Kraft für mehr Annäherung des gemeinsamen Lebens auf dem Kontinent werden.

Es ist eine große Verantwortung, sich um den Rest Europas zu kümmern.

Wir müssen wirklich endlich den Kleinkram wegwerfen und uns der gemeinsamen Gestaltung eines weltpolitischen und ökonomischen Zentrums Europas widmen. Das ist die Aufgabe, die von allem, was heute vor sich geht, diktiert wird. Wir stehen vor den gleichen Herausforderungen. Wir müssen gemeinsam auf diese Herausforderungen reagieren. Sonst geht es nicht.
Aber auch gemeinsam mit den Amerikanern, weil wir uns gemeinsam in diesem euro-atlantischen Raum befinden und wir alle derselben Zivilisation angehören. Amerikaner, Kanadier, Russen und auch Australier – wir sind alle Zweige dieser europäischen Zivilisation. Aber die Zivilisation ist dieselbe.

Absolut. Und das ist die institutionelle Nachricht, die Sie Deutschland und dem Rest der Welt senden würden. Ich würde nur gern unser Interview mit einer Nachricht von Ihnen an einen Geschäftsmann oder eine Geschäftsfrau beenden; es könnte der Vorsitz von Siemens oder des deutschen Mittelstands sein, was ist Ihre direkte Nachricht an sie?

Nach wie vor warten wir auf alle, die zu uns kommen wollen, und ich möchte betonen, dass diejenigen, die zu uns kommen, auf ihre Kosten kommen werden. Darum werden wir uns wirklich bemühen und dafür wollen wir sorgen.

Ich werde auch meine Ersparnisse in Russland investieren.

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